Wie wir uns selbst abmurksen!
„Die giftigsten Orte der Welt“ von Lars Fischer (Quelle: www.spektrum.de)
Menschliche Aktivität hat viele Orte auf der Welt auf unterschiedliche Weise nahezu oder vollständig unbewohnbar gemacht. Verantwortlich dafür sind meist Bergbau und Industrie. Aber auch Privathaushalte tragen dazu bei, einzelne Plätze nahezu unumkehrbar zu vergiften. In dieser Liste finden Sie die dunklen Seiten von Autos, Computern und Strom aus der Steckdose – und was ein goldener Ring wirklich kostet.
Shenyang, China
Die Luftverschmutzung in Nordchina ist berüchtigt. Seit Jahren versuchen chinesische Behörden, das Problem in den Griff zu bekommen – mit wechselndem Erfolg. Eine Stadt, in der die Smog-Strategie der Regierung nicht zu verfangen scheint, ist Shenyang in der Provinz Liaoning nahe der nordkoreanischen Grenze. Im November 2015 machte die Fünf-Millionen-Einwohner-Stadt Schlagzeilen mit Sichtweiten unter 100 Metern, in sozialen Netzwerken kursierten Bilder von Menschen mit Gasmasken. Die Konzentration schwebender Partikel mit Durchmessern unter 2,5 Mikrometern stieg an einem Sonntag auf bis zu 1400 Mikrogramm pro Kubikmeter, mehr als das 50-Fache der als noch unschädlich geltenden Konzentration. Die Situation wurde so untragbar, dass selbst die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua Fotos aus der Stadt auf Twitter mit „Märchenland oder Weltuntergang?“ betitelte – eine rein rhetorische Frage. Ursache der extremen Luftverschmutzung in Nordchina sind vor allem Kohlekraftwerke und Autoabgase, aber auch Staub aus den sich ausbreitenden Wüsten.
Sukinda, Indien
Das Sukinda-Tal im Bundesstaat Odisha enthält nahezu die gesamten indischen Reserven an Chromit, die dort in mehreren gewaltigen Tagebau-Stätten ausgebeutet werden. Chrom braucht man für rostfreien Stahl, für Legierungen und zum Gerben von Leder. Etwa 30 Millionen Tonnen Abraum liegen in Sukinda offen rund um die Minen. Kontaminierte und stark chromhaltige Abwässer fließen ungeklärt in den Fluss Brahmani, der für die meisten Menschen vor Ort die bedeutendste Wasserquelle ist. Das sechswertige Chrom im Chromit ist sehr giftig und Krebs erregend. Etwa 85 Prozent aller Todesfälle in der Region hingen mit dem Chromitbergbau zusammen, schätzte die Freiwilligenorganisation OVHA vor einigen Jahren. Das Metall findet sich sowohl im Wasser als auch im Staub der Region, entsprechend ist es nicht nur für Krebsfälle, sondern unter anderem auch für Atemwegs- und Lungenerkrankungen und Schäden am Verdauungstrakt verantwortlich. Im Vergleich zum Jahr 1975 arbeiten heute weit weniger Menschen in den Minen –die Zahl sank wegen modernerer Verfahren von 40 000 auf zurzeit 4000 Beschäftigte. Was die Modernisierung allerdings nicht verringert habe, sei die Umweltverschmutzung, so das Fazit der Zeitung „Hindustan Times“.
Hazaribagh, Bangladesch
Auf kaum 25 Hektar Land stehen in Hazaribagh 250 Gerbereien, mehr als 90 Prozent aller Gerbereien des Landes. Sie produzieren Lederwaren für den Weltmarkt. Dabei sind Arbeiter und Umwelt wegen der schlechten Produktionsbedingungen beträchtlichen Mengen giftiger Chemikalien ausgesetzt, nicht zuletzt Krebs erregenden Chrom(VI)-Verbindungen. Das Rohprodukt muss chemisch behandelt werden, um die Hautstruktur zu stabilisieren und das Material elastisch zu machen – aus Tierhaut wird so Leder. Heutzutage verwendet man dazu weit überwiegend Chrom(III)-Salze, die in die Haut eindringen und die Proteine der Fasern miteinander vernetzen. Dabei entstehen große Mengen Abwasser, von denen die Gerbereien in Hazaribagh täglich etwa 22 000 Kubikmeter in die Umwelt entlassen. Fachleute berichten von erheblichen Gesundheitsproblemen bei den etwa 200 000 Einwohnern des Ortes durch das Chrom und andere Stoffe aus der Lederherstellung, wie Blei, Sulfide und Kupfer. Die Luft enthält hohe Konzentrationen an Stickoxiden.Nicht weit entfernt von Hazaribagh fließt der Buriganga – der größte Fluss der Hauptstadt Dhaka und ihre wichtigste Trinkwasserquelle.
Kabwe, Sambia
Im Jahr 1902 entdeckten Prospektoren nahe der Stadt Kabwe in der damaligen britischen Kolonie Nordrhodesien große Zink- und Bleivorkommen. Wenig später begann der Abbau der wichtigen Metalle, die als Legierungsbestandteile in Batterien und Akkus und für viele andere Anwendungen gebraucht werden. Heute heißt Nordrhodesien Sambia, und die Mine von Kabwe wurde 1994 stillgelegt. Doch Kabwe trägt weiter schwer am kolonialen Erbe: In Boden, Wasser und Staub findet man bis heute hohe Konzentrationen von Kupfer, Zink und vor allem von Blei. Besonders Letzteres hat gravierende Folgen – das Metall reichert sich im Körper an und verursacht chronische Vergiftungen, die vor allem für Schwangere und Kinder gefährlich sind. Blei schädigt unter anderem Nerven, stört die Blutbildung und die Zeugungsfähigkeit. Kinder in Kabwe haben nach Analysen sechs- bis zwölfmal so viel Blei im Blut wie Gleichaltrige in den Industrieländern.
Horliwka, Ukraine
Im Osten der Ukraine, in dem Ort Horliwka, steht die Ruine einer besonderen Fabrik – einer besonders gefährlichen. Bis 2001 produzierten die Angestellten auf dem 167 Hektar großen Gelände den Sprengstoff TNT und das nicht explosive, aber sehr giftige und Krebs erregende Mononitrochlorbenzol (MNCB), vermutlich für die Produktion chemischer Kampfstoffe. Als Fachleute zehn Jahre später durch Zufall auf den Ort stießen, fanden sie eine tickende Bombe im wahrsten Sinn des Wortes: Gefäße und Tanks mit 50 Tonnen TNT zusammen mit über 2300 Tonnen MNCB waren in der keineswegs sorgfältig stillgelegten Fabrik gelagert worden und über die Jahre zusammen mit den kollabierenden Gebäuden verrottet. Aus löchrigen Fässern und Tanks sickerten die Gifte in Boden und Wasser, und die Aufräumteams bestimmten die Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Sprengstoff von selbst explodiert, auf jährlich fünf Prozent. Bis zum Jahr 2014 gelang es Fachleuten, zumindest die vorhandenen MNCB-Tanks zu leeren und das TNT zu bergen. Dann brach in der Ostukraine der Krieg aus. Seitdem finden dort keine Arbeiten mehr statt. Wie viel von den Chemikalien noch in Gebäuden, Boden und Wasser steckt, ist unbekannt.
Agbogbloshie, Ghana
Westeuropa produziert immense Mengen Elektronikschrott und exportiert allein 215 000 Tonnen des Mülls nach Ghana. Ein beträchtlicher Teil davon landet in Agbogbloshie, einem Stadtteil von Ghanas Hauptstadt Accra – und der zweitgrößten Elektronikschrott-Deponie der Welt. Um das Kupfer aus alten Kabeln und andere Metallteile zu gewinnen, verbrennen die Bewohner die elektronischen Komponenten zusammen mit Styropor, das ebenfalls auf der Deponie landet. Der entstehende Rauch enthält nicht nur giftige Verbrennungsprodukte wie Furane und Dioxine; auch Schwermetalle der Elektrobauteile lagern sich an die Partikel an und ziehen mit dem Rauch über die Region. Allein die Bleikonzentrationen im Boden reichen bis zum 45-Fachen dessen, was in industrialisierten Ländern als akzeptabler Höchstwert gilt. Im Blut der dort lebenden Menschen liegen die Konzentrationen von Blei, Kupfer und anderen Metallen ebenfalls um ein Vielfaches über den als unbedenklich geltenden Grenzwerten.
Kalimantan, Indonesien
Gold gilt als edel und unvergänglich – aber bei der Gewinnung des meist fein verteilten Edelmetalls geht ohne hochgiftige Chemikalien überhaupt nichts. Die Konsequenzen davon zeigen sich am deutlichsten in Kalimantan, dem indonesischen Teil Borneos. Dort wird das Edelmetall zum Teil illegal in Handarbeit gewonnen, und zwar mit Hilfe des hochgiftigen Quecksilbers, das man mit dem goldhaltigen Erz verknetet. Das flüssige Metall bildet mit Gold ein Amalgam und löst es so aus dem Gestein. Anschließend lässt man das Quecksilber einfach verdampfen. Manche der Bergleute machen das nach Berichten sogar in ihren eigenen Wohnungen, wo sich der Schwermetalldampf staut. Quecksilbervergiftungen verursachen eine ganze Sammlung schwerer Schäden: von Nierenerkrankungen bis hin zu neurologischen Störungen. Etwa 1000 Tonnen Quecksilber gelangten in Kalimantan nach einer Schätzung von 2013 in die Umwelt – etwa ein Drittel des Ausstoßes der gesamten Menschheit.
Tschernobyl, Ukraine
Der Begriff „Kernschmelze“ ist keine Metapher. Nach der Nuklearkatastrophe in Block 4 des Kernkraftwerks Tschernobyl fanden Arbeiter im Herbst 1986 in einem Dampfkorridor unter dem Reaktor eine erstarrte, hoch radioaktive Masse aus geschmolzenen Bestandteilen des Reaktorkerns, die sich während der Katastrophe durch den Boden des Reaktors brannte und in den Hohlraum lief. Doch ein beträchtlicher Teil der radioaktiven Abfälle verteilte sich auch in der Umgebung – als der Reaktor durchging, verdampfte das gesamte Kühlwasser und sprengte den tonnenschweren Deckel des Reaktors durch die Decke des Reaktorgebäudes. Durch diese gewaltige Explosion und den anschließenden Brand des Graphitmoderators gelangten etwa 190 Tonnen radioaktives Material in die Umwelt: Isotope von Uran und Plutonium, aber auch große Mengen der sehr langlebigen Isotope 137Cs und 90Sr mit Halbwertszeiten von etwa 30 Jahren. Die Stadt Prypjat und mehrere weitere Ortschaften in der Region wurden evakuiert, die so genannte „Rote Zone“ im Umkreis von rund 30 Kilometern um den Reaktor gilt bis heute als unbewohnbar. Und die Gefahr, dass die restlichen Trümmer des zerstörten Reaktors in die Umwelt gelangen, ist nicht gebannt. Der Klumpen erstarrter Lava unter dem Reaktor – von seinen Entdeckern „Elefantenfuß“ getauft – dürfte bis auf Weiteres das gefährlichste Stück Abfall sein, das die Menschheit bisher produzierte.
Matanza-Riachuelo-Becken, Argentinien
Etwa 20 000 Fabriken und Produktionsstätten liegen an den Ufern des Río Matanza-Riachuelo, der in Buenos Aires in den Río de la Plata mündet. Entsprechend stark mit Schwermetallen und chemischen Abfällen belastet ist der etwa 65 Kilometer lange Fluss, den die Umweltorganisation Blacksmith Institute 2013 zu den am stärksten verschmutzten Orten des Planeten zählte. Etwa 60 Prozent der Menschen, die an seinen Ufern leben, sollten das besser nicht tun, weil ihre Wohnorte nach gängigen Kriterien für Menschen schlicht unbewohnbar sind. Im Uferschlamm findet man neben Pestiziden, Kohlenwasserstoffen und anderen Rückständen speziell aus Färbereien auch hohe Konzentrationen der Metalle Chrom, Zink, Blei, Quecksilber und Kupfer. Anwohner berichten von Hautausschlägen, Entzündungen, Durchfall und anderen Gesundheitsproblemen, da nicht nur das Flusswasser verseucht ist, sondern die Umweltgifte auch ins Grundwasser sickern. Schon 1993 startete die argentinische Regierung ein Projekt, das die Flussufer zumindest wieder bewohnbar machen sollte. Doch diese und nachfolgende Projekte bewirkten bisher nur lokale und vorübergehende Veränderungen.