Sandro Vadim – Mimesis des Werfens

Die Mimesis des Werfens

Bei vielen Bildern von Sandro Vadim kann man sehen, dass etwas übermalt worden ist, womit diese Werke Revision signalisierten: das vollständige oder teilweise Zurücknehmen und Neuformulieren eines zuvor Gesagten. Das Werk ist die Suche nach dem Werk, hat der Komponist Wolfgang Rihm einmal festgestellt. Dennoch hat Sandro Vadims Malerei nichts Tastendes oder gar Zögerliches in sich. Auch wenn er in seinen Bildern und Bildgruppen ein ums andere Mal das schon Erreichte hinter bzw. unter einem dann doch noch einmal Anderen zu großen Teilen wieder verschwinden lässt, hat man nicht den Eindruck einer fortgesetzten Negation aus Motiven der Unzufriedenheit oder Unentschlossenheit. Die Deutlichkeit des Farbauftrags und die entschiedene Intensität der Farbigkeit stehen dem entgegen. Eher scheint es in diesen Bildern um Negation des bereits Erreichten als notwendige Bedingung der Selbststeigerung und Selbstüberbietung zu gehen. Ein Suchen ist solch fortgesetztes Finden nur deshalb zu nennen, weil das Gefundene aus sich heraus zu immer neuen Aufbrüchen zu ermuntern scheint.

Es stellt sich damit die Frage nach dem Grund dafür, dass dies suchende Finden oder findende Suchen in jedem Einzelbild immer wieder an ein Ende und damit zum Stillstand, zum Erliegen kommt. Das dann fällige Placet, „es gefällt“, bzw. emphatischer noch „es ist schön“, spricht jedoch nicht Sandro Vadim, sondern das Kunstwerk selbst. Den Moment, in dem das Werk so oder so ähnlich aus dem Munde des Künstlers vernehmlich spricht oder undeutlich murmelt, kann man bestimmen als den Moment des Erreichens eines Zustandes innerer Ausgeglichenheit, wohl gemerkt, nicht des Künstlers, sondern des Werks. Dieser momentane Kräfteausgleich darf nicht verwechselt werden mit Spannungslosigkeit oder auf Dauer gestellter Harmonie. Eher geht es darum, dass eine Fortsetzung des kreativen Handelns das Erreichte wieder zunichte machen würde. Überspitzt könnte man sogar sagen, das Zunichtemachen des Erreichten beginnt bereits mit dem ersten Pinselstrich. Nicht zu verpassen wäre dann der Moment, in dem die Zerstörung des Bildes jenes Stadium erreicht hat, das als schön, gelungen oder stimmig zu bezeichnen ist.

Der ästhetische Gehalt seines malerischen Werks liegt bei Sandro Vadim nicht zuletzt in dem, was man die Gestik seiner Bilder nennen könnte. Ich meine, es handelt sich bei jedem einzelnen dieser Werke, aber auch bei den Bildern insgesamt, um das Nachahmen des Wurfs sans phrase, um die Mimesis des Werfens, ohne dass dabei im wörtlichen Sinne etwas mechanisch auf die Leinwand geworfen worden wäre. Wurf müsste man dann verstehen als raumgreifende und raumeröffnende Geste der offensiven, ins weitere Außen und nach vorne gerichteten Art. Der Künstler als Werfender, das Werk als Wurf, selten war das deutlicher zu sehen als bei Sandro Vadim.

Seine findende Suche nach dem Werk, bricht Sandro Vadim im Einzelwerk ab, wenn die Fortsetzung des suchenden Findens die Einheit des Werkes gefährden würde, wenn das Stadium des Endlich-und-gerade-noch erreicht ist. Die momentane Stillstellung der Dynamik des seriellen Werfens ist fällig, wenn die Artistik des Werfens im Resultat ihr Genüge gefunden hat, wenn man dem Ergebnis endlich und zugleich gerade noch ansieht, dass sich alles immer nur ums richtige Werfen dreht, und dass immer alles auf den nächsten Wurf ankommt, obwohl auch die vorangegangenen Würfe für das Gesamtbild nicht nur nicht unwichtig, sondern tatsächlich mitentscheidend sind. Die Stimmigkeit des Ganzen ergibt sich am Ende dadurch, dass wir jeden einzelnen Wurf im Moment des Werfens für den alles entscheidenden halten. Wenn in Sandro Vadims Bildern so etwas wie eine moralische Wahrheit enthalten ist, dann ist es eben diese.

(Lothar Rumold)

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